Änderung des Bremischen Wahlrechts zugunsten der Parteien. *Live aus dem Plenarsaal

Das Parlament hat gerade das Wahlrecht geändern. Meine Kritik habe ich gerade am Rednerpult formuliert. Konsequenz der Änderung: Die Parteiliste wird dadurch wieder gestärkt, die Personenstimmen geschwächt. So hat es bereits der nichtständige Ausschuss zur „Erhöhung der Wahlbeteiligung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“ mit Mehrheit entschieden, gegen meine Stimme und die Stimmen der FDP.

Mit dieser für mich indiskutablen Entscheidung erwartet die Mehrheit des Ausschusses tatsächlich, dass das Parlament zukünftig das Spiegelbild der Menschen in Bremen ist. Und: Dass mehr Frauen und jüngere Abgeordnete im Parlament sitzen.

Selbst wenn? Muss deshalb das Wahlrecht geändert werden? Muss deshalb das von vielen unterstütze Volksbegehren von Mehr Demokratie e.V. gekippt werden? Das 2006 das aktuelle Wahlrecht eingefordert hat. Und dabei von über 70.000 Bremern unterstützt wurde.

Neues Wahlrecht sorgte für mehr Einfluss der Wähler auf das Kandidatenkarussel

Gewollt war, dass die Wähler mehr Einfluss auf das Kandidatenkarussel bekommen. Dass sie spezielle, nämlich ihre Kandidaten mehr unterstützen können. Die ihnen zuhören und ihnen eine Stimme im Parlament geben. Und zwei Wahlen haben gezeigt: Das ist genutzt worden! Das ist gewollt!

Beispiel die Wahl 2015: 60% Personenstimmen bei der SPD, 50% bei den Grünen. Sie haben davon profitiert. Und genau Grüne und SPD machen sich jetzt daran, diesen Einfluss der Wähler massiv wieder zurück zu schrauben.

Warum macht Rot-Grün das?

Um den Frauenanteil im Parlament zu erhöhen? Ich empfehle den Parteien, mehr Frauen weiter vorne auf der Parteiliste zu platzieren. Mehr jüngere Abgeordnete im Parlament? Mein Vorschlag: Setzen sie jüngere Kandidaten auf sichere Listenplätze.

Also, was ist der Grund?

Für mich geht es schlicht darum, die im elitären Parteiklüngel ausbaldowerten Parteilisten wieder zu stabilisieren. Die Macht in den Parteizentralen zu stärken! Denn so läuft es doch: Als erstes sichert sich der elitäre Zirkel untereinander ab. Und dann werden die Seilschaften bedient und sich auf Kandidaten verständigt, die wie Parteisoldaten zu agieren haben.

Genau das wurde mit dem neuem Wahlrecht ab 2011 aufgebrochen. Das war Sinn und Zweck des Volksbegehrens. Eine notwendige Initiative, die Demokratie zu beleben.

Elitäre Parteienklüngel entscheidet wieder über die Zusammensetzung des Parlaments

Und ich habe die Abgeordneten im Parlament gefragt, ob Sie tatsächlich glauben, dass das Parlament ein Spiegelbild der Bevölkerung wird, wenn die Parteiliste wieder gestärkt wird? Dass der Arbeiter aus Hemelingen oder die alleinerziehende Mutter aus Bremerhaven Lehe in die Bürgerschaft einzieht, wenn die Parteiliste wieder mehr Macht hat? Meine Antwort: Kein Stück!

Und was ist mit parteiintern kritischen Geistern? Sie haben in der Zukunft keine Chance. Denn zukünftig wird nur noch jeder zehnte anstatt wie bisher jeder vierte Kandidat durch direkte Personenstimmen ins Parlament ziehen.

Wenn man schon das Wahlrecht ändert, dann bitte so, dass der Einfluss der Bürger noch weiter gestärkt wird. Denn das war ja das Ziel des nichtständigen Ausschusses: eine Weiterentwicklung des Wahlrechts. Eine Weiterentwicklung! Ich konstatiere: Heute wurde ein Rückschritt beschlossen.

Volksbegehren zum neuem Wahlrecht wird durch die Bremsiche Bürgerschaft gekippt

Ursprünglich wollte das Parlament mit der Änderung des Wahlrechts die Parteienverdrossenheit bekämpfen. Und was machen Sie? Sie kippen das Volksbegehren und stärken den Einfluss der Parteispitzen. Ein Schachzug, um ihre Macht zu festigen.

Das zeigt sich daran,  dass bisher keine einzige Maßnahme, keine Strategie darüber vorliegt, wie mit den vielen Nichtwähler aus abgehängten Stadtteilen umgegangen werden soll. Es war ja das wesentlich Ziel des Ausschusses, das Befinden der Nichtwähler ernst zu nehmen und sie wieder für unsere Demokratie zu gewinnen. Denn nie war die Wahlbeteiligung in einem westdeutschen Bundesland geringer als 2015 in Bremen.

Nur jeder zweite Bremer ging 2015 zur Wahl

Denn es sind die Menschen mit wenig Geld, mit wenig Bildung und ohne Arbeit, die nicht wählen gehen. Ganze Stadtteile wie Tenever, Gröpelingen und Bremerhaven Lehe sind Nichtwählerhochburgen, in denen die Verankerung der Parteien längst aufgebrochen ist.

Bremische Bürgerschaft legt bisher keine Strategie für Nichtwähler vor

Mit der Änderung des Wahlrechts befeuert die Mehrheit der Abgeordnten genau den Trend, dass die repräsentative Demokratie immer mehr an Legitimität verliert. Und sie befeuern den Eindruck, dass sich die Politiker*innen sowieso nicht mehr um die Probleme des einfachen Volks kümmern.

Der Verein „Mehr Demokratie“ kämpft vergeblich, dass Wahlrecht zu bewahren. Er wird jetzt erneut ein Volksbegehren starten, um ein viel stärker personalisiertes Wahlrecht einzuführen. Das ich voll und ganz unterstütze.

Und was tun die meisten Parteien, die in der Bürgerschaft vertreten sind? Sie sichern ihren elitären Zirkel über starre Parteilisten ab. Gegen die Befindlichkeit der Wähler! Und ich werfe Ihnen vor, sie fördern nicht mehr Demokratie, sondern: Weniger Demokratie.

 

 

 

Posted by:

Susanne Wendland

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