Still & Leise. Rot-Grün will Gesetze ohne Debatte zur “Radikalsierung von jungen Menschen” durchwinken.
Öffentlichkeit verlangt nach Antworten zum Umgang mit radikalisierten Jugendlichen.
In den Medien wird viel über radikalisierte Jugendliche und junge Erwachsene berichtet. Gefragt wird, warum niemand mitbekommt, dass diese jungen Menschen Anschläge vorbereiten. Und Anschläge verüben, wie gerade in Barcelona. Gnadenlos wurden Menschen getötet. Die Öffentlichkeit verlangt zu Recht nach Antworten: Wie können Radikalisierungstendenzen von Jugendlichen aufgehalten werden? Wie können schon tief in der Szene eingestiegene junge Menschen deradikalisiert werden?
Diese Fragen beschäftigen viele Menschen. Mich auch. Empört bin ich deshalb, weil Rot-Grün in Bremen darüber öffentlich gar nicht diskutieren will. Zwei Gesetzesänderungen sind vorgesehen, aber bitteschön O.D., d.h. „Ohne Debatte“ (Stand 18.8.17, 9:00 Uhr). Das hat Rot-Grün bei der Abstimmung der Tagesordnung für die aktuelle Landtagssitzung so vorgesehen. Still und leise durchwinken.
Gesetzesänderungen bedürfen aber einer umfangreichen Debatte. Denn diese müssen im Parlament zwei Mal aufgerufen und zur Abstimmung gebracht werden. Der Sinn ist, dass im Zeitfenster zwischen der ersten und zweiten Lesung Korrekturen vorgenommen werden können. Doch wie soll das gelingen, wenn gar keine Debatte stattfinden soll?
Das diese zwingend notwendige Debatte nun doch kommt, ist der Fraktion Die LINKE zu verdanken. Sie hat diese Debatte bei der Bürgerschaft beantragt.
Was hat Rot-Grün nun vor?
Erstens geht es um eine erhebliche Änderung im Schulverwaltungsgesetz: Lehrer*innen sollen in Zukunft einschätzen, ob ihre Schüler*innen als „Gefährder“ einzustufen sind. Dies soll gemeldet werden, sofern “nicht ausgeschlossen werden kann”, dass ein Schüler staatsgefährdende Gewalttaten verüben will oder zu einer Terrororganisation ausreisen will. Darüber hinaus sollen Schulleiter*innen verpflichtet werden, Radikaliserungtendenzen an die Polizei zu melden – bevor es zu möglichen Straftaten kommen kann.
Ich frage mich, hat von Rot-Grün eigentlich schon mal jemand mit den Lehrern darüber gesprochen? Sind sie bereit, eine solche Verantwortung zu übernehmen? Ist das nicht eine Überforderung und eigentlich Aufgabe des Verfassungsschutzes? Und wie bitte soll ein Lehrer beurteilen, ob bei dem jungen Menschen ein Hinwendungsprozess zur Religion des Islam erfolgt oder ob sich jemand wirklich radikalisiert? Und wird das grundgesetzlich verbürgte Recht auf freie Religionsausübung dabei nicht beschnitten?
Mal wieder Symbolpolitik des Innensenators?!
Zweitens soll Artikel 1 des Landesverfassungschutzgesetzes erweitert werden. Der Verfassungsschutz soll zukünftig Deradikalisierungsprogramme bei bereits radikalisierten Jugendlichen durchführen können.
Klar ist, Bremen muss handeln. Dazu gehört die präventive Arbeit, wie es der Verein Vaja e.V. mit seinem Beratungsnetzwerk für Angehörige und Betroffene (Kitab) und seiner aufsuchenden Jugendarbeit gegen Salafismus (JAMIL) bereits tut. Das ist präventive Jugend- und Sozialarbeit, die auf Freiwilligkeit beruht. Die noch längst nicht mit ausreichenden Personalmitteln versorgt ist, was übrigens die Wartelisten bei kitab zeigen.
Klar ist auch, dass wir Lösungen brauchen, um bereits radikalisierte Menschen anzusprechen. In den Gefängnissen und in der Abschiebhaft. Jeder Versuch ist sinnvoll, diese Menschen zu erreichen. Und Ausstiegmöglichkeiten anzubieten. Und dies gehört sicherlich auch in die Zuständigkeit des Ressort Inneres, vor allem dann, wenn es unter Zwang – wie es wohl vorgesehen ist – erfolgen soll. Nur: Welcher junge Mensch vertraut sich in einer solchen Situation dem Verfassungsschutz an?
Zudem frage ich mich, warum der Innensenator den Artikel 1 des Landesverfassungschutzgesetzes umschreiben will? Ist das mal wieder reine Symbolpolitik? Denn klar ist, Deradikalisierungsprogramme können vom der Innenbehörde federführend auch so durchgeführt werden. Denn die Aufgabenverteilung kann der Senat unter sich frei entscheiden.
Ob sich meine Fragen noch klären, wird sich in einer der kommenden Debatten einer Landtagssitzung zeigen. Da dieser Tagesordnungspunkt (TOP 60) fast am Ende steht, kann er dieses Mal nicht mehr aufgerufen werden.
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