Überlege, wie dieses Blog wird. Es ist Samstag, der 19. Juni, nachmittags. Der Saharawind treibt die halbe Stadt an Pools und Seen dieser Stadt, die andere Hälfte in abgedunkelte Räume. Mich in freier Entscheidung in den abgedunkelten Arbeitsraum, mit Kerze an und der Aussicht, erst in der abgekühlten Sommernacht schwimmen zu gehen. Denn ich möchte endlich und sehr gerne darüber bloggen, was aus der von mir organisierten Fachveranstaltung „Die eigenen vier Wände – Neuausrichtung der Wohnungslosenhilfe in Bremen“ nachklingt. Ja, was nachklingt, denn die Veranstaltung hatte Klang mit guter Ressonanz.
Erwartet nur keine super durchstrukturierte, fachliche differenzierte und nüchterne Analyse darüber, wo wir stehen, wie weit wir im Vergleich von vor zwei Jahren sind und wo wir hin wollen. Dazu habe ich gerade keine Lust. Wer mehr über meine fachliche Ausrichtung mit politischer Bewertung und Ziel lesen will, schaut bitte in der Cloud unter „Wohnungslos in Bremen“ nach. Wer etwas über den grünen Teilerfolg seit der letzten Veranstaltung von vor zwei Jahren lesen will, der schaue hier. Wer nur visuelles braucht, klicke hier drauf. Wer wissen will, welche Eindrücke in mir nachklingen der lese einfach weiter.
Ich will meine Motivation reflektieren, warum ich mich so stark für wohnungslos gewordene Menschen engagiere. Das war eine der Fragen, die mir in der Pause unserer Veranstaltung von einem Teilnehmer gestellt wurde. Woher kommt Ihr so großes Engagement? Das ist doch eher ungewöhnlich für Grüne. Ich war überrascht über die Frage, kam sie doch so unvermittelt von einem mir noch unbekannten Menschen aus der Fachszene. Aber ja, ich war, ich bin und werde auch in Zukunft davon überzeugt sein, dass wir als Politiker_innen für Menschen, die ihre Interessen im politischen Prozess selbst nicht artikulieren können, Sprachrohr mit Durchsetzungskraft im Parlament sein müssen. Und das trifft in besonderem Maße auf sogenannte Obdachlose zu. Die in Bremen – by the way gesagt – nicht ohne Obdach sind. Denn es gibt Obdächer, also die Notunterkünfte für Frauen und Männer. Deswegen rede ich von wohnungslosen Menschen. Denn ohne Wohnung zu sein, ist hammerhart.
Ohne Wohnung da zu stehen, kann jeden von uns treffen. Ein eigenes Dach über den Kopf zu haben ist ein Grundbedürfnis und ein Grundrecht. Ich bin davon überzeugt, dass grüne Politik und unsere Glaubwürdigkeit Politik zu machen sich auch daran messen lassen muss, was wir für Menschen tun, die keine Lobby haben, die keine Steuern zahlen und in der Regel nicht wählen gehen.
Hammerhart ist es, ohne Wohnung zu sein. Hammerhart, weil diese Menschen alles verloren haben, oft ihren Partner (durch Trennung oder Tot), ihre Arbeit, in Sucht abgerutscht und oft verschuldet sind. Wohnungslosigkeit ist aber nicht nur männlich, sie ist auch weiblich. Es gibt weniger Frauen als Männer, die als wohnungslos gelten. Das liegt zu einem Teil daran, dass einige Frauen bei Männern wohnlich unterkommen und dafür ihren Körper geben. Sex für ein Dach übern Kopf. Das ist bitter, darüber wird nicht gerne gesprochen und ist doch leider immer noch weitestgehend öffentliches Tabu. Auf der Straße ist es besonders hart für Frauen. Wer Platte macht, muss sich auch körperlich gut verteidigen können. Das ist meist nichts für die wohnungslos gewordene Frau.
Der Blick auf die Lebenssituation von wohnungslosen Frauen ist jedoch noch unterbelichtet. Das will ich ändern. Auf der Veranstaltung hat Britta Klocke, Leiterin der Frauennotunterkunft und des Frauenhauses darüber berichtet, dass viele Frauen Erfahrungen mit Zwangsprostitution und sexuellem Missbrauch machen müssen. 80% der Frauen leiden unter psychischen Erkrankungen, oftmals ohne Einsicht und können sich oft selber nicht mehr helfen. Hier haben wir in Bremen eine Versorgungslücke, denn viele dieser Frauen sind in einer Drehttür gefangen. Einem Aufenthalt in der Psychiatrie folgt die Straße, dann wieder in der Notunterkunft, dort können Sie nicht angemessen fachlich aufgefangen werden, und dann werden sie wieder in die in Psychiatrie geschickt usf. Deswegen wollen wir auf den Weg bringen, dass hier Angebote geschaffen werden. Ambulante Angebote, also betreutes Wohnen in eigenem Wohnraum für psychisch erkrankte Frauen.
Darüber haben wir gesprochen. Und auch darüber mit Dr. Petra Kodré, dass wir in Zukunft präventive Hilfen durch aufsuchende Arbeit stärken wollen. Das geht u.a. mit mehr Personal in der Zentralen Fachstelle Wohnen. Nun bin ich doch im Fachjargon und in der Analyse gelandet. Kurz, nur ganz kurz: Dass Wohnungslosigkeit aber auch jung ist, wurde nicht thematisiert. Die Dunkelziffer bei den Jugendlichen ist groß und es besteht dringend Handlungsbedarf. Beides sind Themen, die ich politisch in der Zukunft vorantreiben werden. Nun zurück zur Gegenwart, zur Fachveranstaltung.
Mein Eindruck war, dass sich fast alle Teilnehmer_innen darin einig waren, dass es zu wenige Wohnungen gibt. Zu wenige für Wohnungslose, weil es an Ein- und Zweizimmerwohnungen mangelt. Zu wenige, weil wohnungslose Menschen meistens keinen Zugang zu Wohnungen auf dem privat organisierten Markt haben. Deswegen, so waren sich auch fast alle einig, brauchen wir mehr staatliche Förderung. Sozialwohnungen. Und in der Tat, überall dort, wo mit Hilfe des Staates neu gebaut wird, entstehen auch neue Sozialwohnungen, d.h. mit Mietpreisbindung und speziell für Bremer_innen, die wenig oder gar keine Einkommen haben. Zum Beispiel an der Marcuskaje, da entstehen richtig viele Sozialwohnungen. Die liegt in der Überseestadt, erzählte uns Herr Corbach von der GEWOBA. Das ist gut und richtig, finde ich. Es müssen in der Überseestadt auch Menschen mit wenig Geld leben. Doch, welcher wohnungslose Mensch will dort leben, weit ab von Schuss, ohne gute S-Bahn-Anbindung, ohne Kneipe um die Ecke, in der ein Bier oder ein Kaffee bezahlbar wäre, weit weg von den Kumpels aus dem Zentrum, weit weg von den Straßenecken, also dem eigenem Arbeitsplatz, wo der Zeitungsverkauf gut läuft und Stammkundschaft kommt? Viel zu viele Hürden.
Wohnen in der Überseestadt für wohnungslose Menschen passt nicht ins Bild der Realität. Jonas Pot D’Or, Streetworker für Obdachlose, berichtet, dass „seine Jungs“ alleine wohnen können. Aber die brauchen ihren eigenen zugänglichen Orte, Räume ohne „schicke“ Nachbarschaft, oder besser ohne Nachbarschaft, damit es keinen Ärger gibt. Jonas vermisst für diese Menschen die Schlichtbauten, wie die Lange Sicht, dass es die nicht mehr gibt. In der Fachwelt gab es da die Kritik: Ghettoisierung. Doch die wohnungslosen Menschen, die waren froh, da waren sie unter sich, hatten einen Garten, in dem doch der wichtigste Freund, der Hund oder die Hündin auch ihren Platz gefunden hat. Und was für bürgerliche Menschen nicht in Frage kommt, mit niedrigem Standard – nur Kaltwasser und Ofenheizung- war für den ehemals Platte machenden Menschen völlig ausreichend. Aus seiner Sicht. Auch das gilt es, zu respektieren.
Was wir brauchen, so die Forderung, der meisten auf der Veranstaltung, sind Wohnungen im Bestand. Doch Belegrechte (B-Schein-Berechtigung für staatlich geförderten Wohnraum mit Mietpreisbindung) anzukaufen oder zu verlängern ist im angespannten Wohnungsmarkt Bremens richtig teuer, da würden wir der Wohnungswirtschaft richtig auf den Leim gehen. Das muss nicht sein. Doch was ist die Lösung? Eine Möglichkeit würde darin bestehen, dass im Auftrag des Staates freie Träger Wohnraum akquirieren und diesen dann in einerm ersten Schritt an Wohnungslose vermieten. Wohnbegleitende Unterstützung anbieten, und dann den Menschen ihre Wohnung mit eigenem Mietvertrag geben. Und ganz klar, weiterhin ambulant intensiv betreutes Wohnen anbieten. Wenn möglich, und das wünsche ich mir, von mehreren Trägern.
Zu guter letzt noch was zum Gesamteindruck. Wir waren weit mehr als 40 Menschen auf der Veranstaltung und wir haben uns (nicht nur) drei Stunden lang gegenseitig zugehört. Holger Baars, freier Journalist, der die Veranstaltung für uns moderiert hat, erwähnte im Schlusswort, dass sich die Veranstaltung besonders dadurch ausgezeichnet hat, dass sich die Teilnehmer_innen aneinander angenähert hatten. Nicht in ideologischen Grabenkämpfen und durch unterschiedlichen Fachrichtungen auseinander drifteten, sondern vorwiegend an der Sache orientiert diskutiert haben mit dem großen Wunsch gemeinsam Lösungen für die Menschen zu finden. Das habe ich auch so wahrgenommen, und möchte mich bei allen Teilnehmer_innen der Veranstaltung an dieser Stelle noch einmal herzlichst bedanken. Herzlichen Dank.
Hier geht es zu meiner Einleitung (Grußwort) in die Fachveranstaltung.