Streifzug durch Tenever.

Unterwegs mit Barlo: Hoch, jung, international und vor allem „arm“.

Plattenbauten werden eingerissen, dunkle Hinterhöfe verschwinden. Die Sanierung des Bremer Problemstadtteils Tenever gelingt. 2002 beginnt die umfangreiche Sanierung. Aus dem schlimmsten Ghetto der Republik wird ein Vorzeigeprojekt. Ein Mammutprojekt. Mitten drin ist „Barlo“. Joachim Barloschky begleitet mit der Stadtteilgruppe Tenever die Trendwende. Ich treffe den damaligen Quartiersmanager an einem sonnigen Tag im Mai. Er brennt immer noch für sein Viertel, das sich verändert hat. Unser Rundgang macht deutlich: Tenever ist ein heller, freundlicher und grüner Stadtteil. Der städtebauliche Wandel hat geklappt, die Probleme von damals allerdings sind geblieben.

„Tenever ist hoch, jung, international – und vor allem arm“, sagt er zu mir. Die Fakten belegen das. 6000 Menschen aus 90 Nationen leben hier friedlich zusammen. Jeder Dritte lebt von Sozialleistungen, jedes zweite Kind ist betroffen. Jede vierte Frau ist alleinerziehende Mutter. Barlo und ich reden über Armutspolitik. Wir sind uns einig. Die Koalition in Bremen macht zu wenig. Tenever ist der kinderreichste Stadtteil Bremens. Warum werden aus den Kitas keine echten Familienzentren? Barlo und ich verstehen uns. Ein Angebot mit Sozialpädagogen und Sozialarbeitern, die vor allem den Müttern in allen Lebenslagen weiterhelfen. Armutspolitik kann einfach sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir sind im Café Abseits. Treffpunkt für Menschen, die suchtkrank oder schlicht nur einsam sind. Die Tafel ist hier zu finden, auch eine Kleiderkammer. Injobber arbeiten hier, finanziell sind sie nicht abgesichert. Auch das Café steht immer wieder auf der Kippe. Warum kein langfristig abgesichertes Angebot?

Ähnlich die Situation im Frauengesundheitszentrum. Viele Frauen haben mehr als fünf Kinder und müssen sie mit geringen Geldmitteln durchs leben bringen. Da tut ein Ort, der nur für die Frauen ist, gut. Schwimmkurse sind im Angebot, auch Alphabetisierungskurse. Es geht um die Stärkung von Frauen, um Emanzipationsprozesse. Aber alles auf Kante genäht, erzählt uns Jutta Flerlage, die Leiterin.

Egal, wo wir hinkommen, zu merken ist das Miteinander der Menschen. Ich denke, was ist zu tun, um den vielen Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben. Wir sitzen im Café Gabriely des Mütterzentrums. Mit am Tisch ist Silvia. Sie wohnt schon lange in Tenever und erzählt, dass es einfach an Arbeit fehlt. „Die Leute wollen arbeiten“, sagt sie. Wichtig sei eine Beschäftigung. Viele sind ehrenamtlich unterwegs, erzählt sie weiter, etwa in Nachbarschaftshilfen. Wertschätzung tut den Menschen gut, beschreibt Silvia – und ich denke an das bedingungslose Grundeinkommen. Was passiert in diesem Stadtteil, wenn es nicht tagtäglich um die Existenz geht? Was ist, wenn ehrenamtliche Nachbarschaftshilfen durch das bedingungslose Grundeinkommen geschätzt werden? Oder die Arbeit im internationalen Garten? „Wir sind im Überlebenskampf“, sagt Barlo. „Aber wir haben auch Lebensfreude. Wir lachen und weinen, wir lieben und hassen. Wir hoffen und verzweifeln.“

Barlo ist seit langem in Rente, immer wieder grüßen ihn die Menschen in Tenever. Er teilt meine Zustimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen nicht – „und das kriegen auch noch die Millionäre“, sagt er und zeigt den Mittelfinger. Fuck! Ich kann seine Wut nachempfinden, doch zu finanzieren ist das bedingungslose Grundeinkommen nur über neue Steuermodelle. Barlo hat das bedingungslose Grundeinkommen noch nicht zu Ende gedacht. Denn Millionäre oder gar Milliardäre müssten mehr Steuern bezahlen und beziehen dann damit faktisch kein bedingungsloses Grundeinkommen. Vielleicht kann ich Barlo noch überzeugen. Stadtteile wie sein Tenever würden profitieren.

Fast vier Stunden sind wir unterwegs, als wir uns verabschieden. In der Neuwieder Straße, wo zwei Blöcke stehen, die immer noch Spekulationsmasse von Immobilienhaien sind. Aber vielleicht übernimmt die Gewoba auch noch diese zwei Blöcke und vollendet damit den städtebaulichen Wandel in einem Stadtteil, der sympathisch ist. Ich komme wieder – am besten mit Barlo.

Posted by:

Susanne Wendland

Leave A Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked (required):

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Back to Top